Die dritte Disruption ist da: Für Chinas Autoindustrie beginnt mit KI gerade eine neue Ära
Das softwaredefinierte Fahren gibt es noch, doch die verkörperte KI und die Robotik werden zu entscheidenden Faktoren für den Erfolg von Produkten und Geschäftsmodellen.
Published on Dec 24, 2025

Die Ära des softwaredefinierten Fahrens ist noch nicht alt, aber sie ist in China schon wieder Geschichte. Mit der Ära des KI-definierten Fahrens hat hier gerade die dritte große Disruption der Autoindustrie begonnen.
Die erste Welle der Disruption war die Elektrifizierung. Die zweite war die „Digitalisierung“, also die Entstehung des softwaredefinierten Autos und der ersten Schritte in Richtung autonomes Fahren. Viele OEM und Zulieferer kämpfen noch mit diesen beiden Phasen, hätten sich dafür vermutlich noch etwas mehr Zeit gewünscht. Doch die ist ihnen nicht gegönnt.
Mit der Künstlichen Intelligenz läuft in China nun schon die dritte Welle der Disruption, die sämtliche Bereiche von Fahrzeugen, das autonome und vernetzte Fahren und auch die Automobilproduktion noch einmal gründlich verändern werden. Mangels besserer Begriffe ließe sich von einer Welle der „Smartifizierung“ sprechen, aber "Ära der KI-definierten Mobilität“ trifft es vermutlich besser.
Diese neue Ära ist von einer schnellen Konvergenz zwischen KI, automobiler Technik und Robotik geprägt. Zu beobachten war dies unter anderem vom 16. bis 18. Dezember auf der „2025 China Automotive Software Conference“ in Jiading, einem Vorort von Shanghai. Sie stand diesmal unter dem Motto "Software Building a New Ecosystem - AI Enabling the Future".
Autos sind auf dem Weg zur ersten in der Gesellschaft weit verbreiteten Form von „verkörperter Intelligenz“ (embodied AI) zu werden, war auf der Konferenz zu hören. Sie entwickeln sich von funktionalen Maschinen zu „intelligenten Agenten“, in denen die KI in nahezu allen Bereichen verankert ist, berichtete die chinesische Nachrichtenagentur Zhongxin She von der Konferenz (auf Chinesisch).
„Heute prägen sowohl Hardware als auch Software das Nutzererlebnis, wobei die Software eine zunehmend dominierende Rolle spielt. In Zukunft wird Künstliche Intelligenz dieses Erlebnis weiter verbessern“, zitierte die Agentur Zhou Ping, EVP der China Europe Alumni Automotive Association (CAAA).
Der Einfluss der KI ist aber nicht allein auf den Schnittpunkt zwischen Fahrer und Fahrzeug beschränkt. Vom intelligenten Cockpit bis zum intelligenten Chassis verändert sich die Art und Weise, wie Autos entworfen und gebaut werden. Neue Lösungen verändern und beschleunigen auch die Ausbreitung des autonomen Fahrens.
Zudem verschmelzen die Automobilindustrie und die Robotik in China zunehmend, indem beispielsweise Verfahren der Bildwahrnehmung oder Algorithmen, die sich in einer Industrie bewährt haben, zunehmend auch in der anderen genutzt werden.
Im Zuge der tiefgreifenden Integration von KI-Technologien in die Automobilindustrie entwickelt sich verkörperte Intelligenz zu einem zentralen Treiber für die Weiterentwicklung intelligenter Fahrzeuge.
„Im Zuge der tiefgreifenden Integration von KI-Technologien in die Automobilindustrie entwickelt sich verkörperte Intelligenz zu einem zentralen Treiber für die Weiterentwicklung intelligenter Fahrzeuge", schreibt die Bezirksregierung von Jiading, die diese Konferenz gemeinsam mit dem chinesischen Verband der Automobilhersteller CAAM und anderen Beteiligten ausgerichtet hat, auf ihrer Webseite (auf Chinesisch).
Es sei zu beobachten, dass die verkörperte Intelligenz, also das fortschreitende Verschmelzen von KI und Hardware, sehr schnell zu einem wesentlichen Merkmal von Fahrzeugen und damit auch zu einem neuen Wachstumstreiber der chinesischen Autoindustrie wird, hieß es in mehreren der Vorträge sinngemäss.
Auf der Konferenz ist daher eine neue Plattform gegründet worden, die OEM, automobile Zulieferer, Robotik-, Chip- und KI-Unternehmen zusammenbringen soll. Sie heißt etwas sperrig "Meta-Ecosystem - Embodied Intelligence Core Capability Open Platform". Ihre Gründer beschreiben sie als Chinas ersten industrieübergreifenden Hub für „Automobilindustrie und verkörperte Intelligenz“.
Unter anderem zählen Li Auto, Schaeffler Engineering, der Volkswagen-Partner Horizon Robotics, Zhiyuan Robot (AgiBot), Yunmu Intelligent Manufacturing (YMBOT), RIVR, Shengji Miaosun Robotics und das Unternehmen ModelBest zu den Gründungsmitgliedern der neuen Plattform.
Gemeinsam mit Universitäten und Forschungsinstituten soll mit Hilfe dieser neuen Plattform die Innovation im Bereich der verkörperten KI gefördert werden, erklärten die Gründer. Ressourcen aus allen möglichen Bereichen der automobilen Wertschöpfungskette sollen miteinander verknüpft werden. Die KI und ihre industrielle Nutzung sind das Dach, unter dem sich all diese Unternehmen ab jetzt in Shanghai austauschen wollen.
Die KI wird in China gerade auf der Software-Ebene in intelligente Cockpits, neue Methoden für das autonome Fahren, in den Alltag von Fahrzeug-Designern und in die Prozess-Optimierung in der Autoproduktion eingebunden.
Was den industrieübergreifenden Aspekt betrifft, so ist kürzlich der Launch des neuen Roboters „Iron“ von Xpeng in der chinesischen Autoindustrie mit viel Aufmerksamkeit verfolgt worden. Das chinesische E-Auto-Startup hat den Roboter mit Technologien gebaut, die es ursprünglich für seine intelligenten Fahrzeugfunktionen und das intelligente Fahren entwickelt hatte.
Der Roboter nutzt den KI-Chip „Turing“ von Xpeng, das mit KI arbeitende Auto-Betriebssystem „Tianji AIOS“ und er nutzt das Kamerabasierte Wahrnehmungssystem „Eagle Eye Vision“. All diese Technologien hat Xpeng, das sich als erstes Unternehmen in der chinesischen Industrie selbst zu einem Hersteller "KI-definierter Fahrzeuge" ernannt hat, für seine Autos entwickelt.
Dieselben Architekturen, die in den E-Autos von Xpeng das fahrerlose Fahren ermöglichen, sorgen nun auch für die Motorik des Roboters.
„Diese gemeinsame technologische Basis ermöglicht es Automobil- und Robotikprodukten, Forschung- und Entwicklungsergebnisse gemeinsam zu nutzen und Kosten zu verteilen," schreibt der Auto-Think-Tank Cheshi Ruijian auf seinem Wechat-Kanal (auf Chinesisch). Damit werde aus „1+1 mehr als 2“, schreiben die Experten.
Der Roboter „Iron“, der sein Entstehen einem Autohersteller verdankt, wird nun in den Autofabriken von Xpeng in der Produktion des Automodells „P7“ eingesetzt. (Er baut auch schon b bei CATL Autobatterien. Siehe den zweiten Artikel dieses Briefings.)
Iron sei damit nicht irgendein neuer Roboter, sondern ein Beleg dafür, dass „Technologien des intelligenten Fahrens aus der Automobilindustrie erfolgreich auf Roboter übertragen werden können", so die Fachleute.
Was da in der Volksrepublik gerade begonnen hat, ist also eine viel tiefgreifendere Veränderung als nur eine schrittweise Verbesserung von Automobilsoftware oder Fabrikprozessen durch KI. Die verkörperte Intelligenz definiert vielmehr gerade eine fundamental neue Logik der automobilen Fertigung.
Während noch bis vor kurzem die wichtigsten Fähigkeiten von OEM und Autozulieferern in den Bereichen Engineering von Chassis oder Powertrains, in der qualitativ hochwertigen Montage oder auch in der Fahrzeug-Software zu suchen waren, so werden jetzt „intelligente" KI-Fähigkeiten und das strategisch kluge Bilden von industriellen Ökosystemen sehr schnell wichtiger.
Die automobilen Lieferketten, die bislang weitgehend linear waren, verändern sich derzeit in integrierte Netzwerke aus Herstellern von Hardware-, Software und den Anbietern von intelligenten Dienstleistungen. Die gute Nachricht ist, dass hier gerade eine neue Milliardenindustrie entsteht. Die schlechte Nachricht ist, dass Unternehmen, die diese neue Welle der Disruption verschlafen, schon in wenigen Jahren unter massiven Konkurrenzdruck geraten werden.
Sowohl Autos als auch die Autoindustrie werden durch KI noch einmal gründlich verändert. „Autos werden zu den ersten KI-Geräten, die in großem Maßstab in der physischen Welt eingesetzt werden", sagte Chen Liming, President bei Horizon Robotics, kürzlich auf dem World New Energy Vehicle Congress in Haikou.
Die Autoindustrie entwickelt sich in China derzeit zu einem „zentralen Anker“, um die Weiterententwicklung von Technologien der verkörperten Intelligenz zu beschleunigen. Damit wird sie gleichzeitig zum ersten Testfall für eine erfolgreiche Kommerzialisierung der KI in einem Massenmarkt und verändert sich selbst noch einmal von Grund auf.
